würde: Statt das Kokain der Polizei zu übergeben oder schleunigst das Weite zu suchen, streichen Romain und Matthieu die wasserdichten Päckchen ein und brechen nach Paris auf, um dort, nunmehr als Dealer reinsten Kokains, bald Zugang zu jenen exklusiven Kreisen der Hauptstadt zu finden, die sie bislang nur vom Hörensagen kennen.
Dass sie diese Fahrlässigkeit mit ihrem Leben bezahlen müssen, liegt auf der Hand. Die jungen Männer haben sich damit nämlich ein serbisches Drogenkartell zum Feind gemacht, das nicht zufällig auf den Namen "Skorpion" hört. Deren Mitarbeiter fackeln nicht lange. Zu ihrer Arbeitsplatzbeschreibung gehört es vielmehr, all jenen, die sich ihnen bei ihren Geschäften in den Weg stellen, Schraubenzieher ins Ohr zu rammen und Schlimmes mehr.
Roman und Matthieu bringen die Story von Estelle Surbranches erstem Thriller "So kam die Nacht" zwar in Gang, im Zentrum aber stehen sie nicht, dafür sind sie als Charaktere zu blass angelegt. Die französische Autorin, die aus der Welt des Techno kommt und als DJ Estelle S. in Pariser Clubs auflegt, weitet ihre Geschichte um Drogen, Sex und gleich ein Dutzend bestialischer Morde vielmehr zum Duell zweier Frauen, die einander zwar nie begegnen, gleichwohl aber auf Augenhöhe miteinander ringen.
Die eine, Nathalie, ist eine dem "Skorpion" treu ergebene Söldnerin, die während des Balkan-Krieges in Bosnien aufwuchs. Der Vater Kroate, die Mutter Serbin, trug sie die "Schizophrenie eines ganzes Volkes in ihren Genen", heißt es einmal über Nathalie. Der Vater, überzeugt davon, dass "die Hälfte ihres Blutes von einem kriminellen Volk abstamme, wollte "das Böse" aus seiner Tochter herausprügeln. Doch erst ihr Onkel, seinerseits ein serbischer Kriegsherr, zu dem Nathalie nach dem Tod der Eltern gelangte, ließ das Mädchen zur Killerin abrichten.
Nathalies Gegenspielerin ist Gabrielle, Capitaine aus dem französischen Südwesten und nicht weniger furchtlos. Auch die Französin ist eine einsame Seele, die nicht zufällig unter Rückenschmerzen leidet. Denn Gaby, wie sie von ihren männlichen Kollegen allzu verniedlichend genannt wird, hat zu schwer zu tragen an ihrer Existenz. Ebenso wie die kriegsversehrte Nathalie lassen die Gespenster der Vergangenheit auch die Polizistin nicht ruhen. Es war die Liebe ihres Lebens, die Gabrielle einst so blind gemachte hatte, dass sie deshalb zwei Menschenleben auf dem Gewissen hat. Vor Gericht wurde sie freigesprochen, nicht aber von ihrem Gewissen.
Die Jagd der Frauen gehört zum packenden Part des Thrillers, dessen Milieuschilderungen der französischen Provinz wie der Pariser Hautevolee bisweilen allzu holzschnittartig daherkommen. Dass die beiden Jurastudenten, die ihr Studium bald an den Nagel hängen, um sich ganz dem Rausch des Hier und Jetzt hinzugeben, schon verloren sind, noch ehe sie der serbischen Killerin mit dem Glasauge begegnen, ist so vorhersehbar wie die Tatsache, dass die Herren Kommissare aus der Hauptstadt die Kollegin aus der Provinz nicht für voll nehmen, bis sie von Gabrielle eines Besseren belehrt werden. Spannend dagegen sind die Perspektivwechsel der Erzählung, die mal auktorial geschildert wird, mal als Innerer Monolog, was der Autorin die Möglichkeit gibt, tiefer in die beschädigten Charaktere einzusteigen.
Dass mit dem weißen Stoff, der quasi vom Himmel fiel, am Ende niemand gewinnen kann, weder die, die damit reich werden wollen, noch jene, die ihn sich durch die Nase ziehen, und dass doch niemand dem Bösen das Handwerk legen kann, ist das Fazit der Geschichte. Auf dem Weg dahin, werden allerhand Herren entmannt und Damen geköpft. Den Soundtrack dazu aber liefern Zitate von Eminem bis Marilyn Manson, die den Kapiteln jeweils vorangestellt sind: "Ich muss mich nur umschauen, um die Hölle zu sehen", heißt es in einem dieser Songs.
SANDRA KEGEL
Estelle Surbranche: "So kam die Nacht".
Kriminalroman.
Aus dem Französischen von Cornelia Wend.
Polar Verlag, Hamburg 2017. 336 S., br., 16.- [Euro].
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